Ich bin sicher, jeder kehrt in Gedanken ab und zu zurück – zu seinem ersten Mal. Große Bühne, kleine Bühne oder einfach nur das Wohnzimmer zuhause in dem die Eltern und Verwandten sitzen? Meine erste Bühne war ein Stuhl; mein erstes Bühnen Outfit das Kleid meiner Tante und ihre hochhackigen Schuhe. Mein Alter? Sieben! Der Anlass? Mein eigener Geburtstag.
Warum ich voller Risiko mit diesen Schuhen auf den Stuhl geklettert bin, weiß ich erst jetzt. In diesem Moment fühlte ich nur: ich muss hoch! Und auch in den Jahren danach wusste ich: ich muss höher! Mit meinen sieben Jahren hatte ich der Welt, die damals aus meinen Eltern und den Verwandten bestand, etwas Wichtiges mittzuteilen. Und ich begann: „Heute bin ich sieben Jahre alt geworden…“ – Null Aufmerksamkeit! Dann nochmals: „An diesem Tag bin ich …“ – quietschte ich mit hoher Stimme. Meine Mama drehte sich erschrocken zu mir um und dachte ich weine, so hoch war meine Stimme in dem Bemühen gehört zu werden. Sie legte den Tortenheber ab und las von meinen Lippen die nächsten Worte „… sieben Jahre alt geworden.“ Mit dem berühmten Mutterinstinkt wollte sie nur nicht, dass ich mit den hohen Schuhen von dem Stuhl stürzte und gestikulierte schnell mit beiden Händen: „Bitte Ruhe… einen Moment… Ruhe… Nelly will was sagen!“
Kleine Bühne, große Wirkung
Na ja, man braucht immer jemanden, der einen ankündigt. Das hatte meine Mama damit hervorragend getan. Die Gesellschaft beendete langsam die Gespräche und schaute endlich zu mir. Keine große Speakerin, sondern ein kleines Mädchen stand vor ihnen auf dem Stuhl und einige erwarteten vielleicht ein Kinderlied oder Gedicht. Das kam aber nicht. In meinem kleinen Kopf war eine Entscheidung gereift, die für mich große Bedeutung hatte. Diese Entscheidung sollte ihre Wirkung auf all diese Menschen entfalten und die Verkündung konnte nicht mehr warten. Sie lag auf meiner Zunge und erreichte nun meine Zuschauer: „Ich werde eine Journalistin. In Sofia. Ich will zu einer Schule für Journalisten gehen!“.
Eine große Speaker-Rede war das nicht, aber sie hat zuerst die Anwesenden zum Schweigen und dann zum Nachdenken gebracht. Die Verwandten aus dem Geburtsort meiner Mutter trauten sich nicht meiner Mutter zu sagen, dass ich wahrscheinlich Fieber habe. Heimlich gedacht haben sie es aber bestimmt. Fakt war, sie wussten nicht, was Journalistin bedeutet. Mein Vater, ein Vordenker für seine Zeit, hat dann zuerst das Schweigen gebrochen. „Sie lernt schon Englisch und ich…“ Ja, Englisch lernte ich wirklich, obwohl das in den 60er Jahren in Bulgarien eine exotische Beschäftigung war. Und mein Papa war wieder dabei, seinen Beitrag explizit zu betonen. Im Endeffekt hat er dann auch allen erklärt, was Journalismus bedeutet, und über meine Zukunft hat sich keiner mehr Sorgen gemacht – nachdem ich den Stuhl wieder heil verlassen hatte.
Was ist aus meinem ersten Auftritt geworden?
Ich begann zu organisieren: Konzerte, Theaterstücke und weitere Events. Sehr geeignet dafür war unsere Terrasse. Meine Zuschauer „erwarben“ meine selbstgemachten, natürlich kostenlosen Tickets und warteten nicht mehr auf Einladungen, sondern fragten selbst nach: „Wann machst Du wieder eine Veranstaltung?“ Dafür waren besonders gut die langen Sommerferien geeignet. Alle unsere Stühle und Bänke brachte ich raus auf die Terrasse und lieh mir weitere von den Nachbarn aus. Alle Kinder aus der Umgebung kamen als Darsteller in Frage. Gedichte, Lieder, Tänze und Sportaufführungen waren Bestandteil meines Programms. Ich moderierte, sagte Gedichte auf und las aus den Büchern von Astrid Lindgren. Unsere Terrasse war voller Kunst, kleiner Darsteller und glücklicher Nachbarn. Und ich? Ich sammelte meine ersten Erfahrungen auf der Bühne. Der Applaus ging mir unter die Haut. Die Verbeugungen mit allen zusammen am Ende jeder Veranstaltung ließen mein Herz höherschlagen und meine Augen feucht werden. Langsam spürte ich: Ich mag die Menschen vor mir und die Bühne unter mir.